Wer online Reisen bucht, braucht neben Medienkompetenz vor allem Beruhigungsmittel

Strand Urlaub ReiseportalKürzlich habe ich unseren Sommerurlaub gebucht. Nach langer Zeit mal wieder über eine Online-Buchungsplattform. Das war ein Erlebnis. Nach der Eingabe des Zielortes, der Reisedaten, Anzahl der Personen und Zimmer blinkte es mir sofort entgegen:

"Ihr Zielort ist zu 85 % ausgebucht, buchen Sie schnell!"  

Bei jedem weiteren Klick ging der Hektikterror weiter.

„Heute ist Ihr Glückstag!“

„Jemand hat das gerade gebucht“

„Es ist noch nicht zu spät“

„Heutiges Schnäppchen“

„Eine Person hat mit der Buchung dieser Unterkunft schon begonnen“

„Verpassen Sie nicht unseren besten Preis und buchen Sie jetzt“

Selbst mitten im Buchungsprozess hörten die zahllosen Hinweise nicht auf, dass sich viele Menschen just in diesem Moment angeblich dasselbe Hotel anschauen, dass ich leider die besten Angebote bereits verpasst habe und dass ich nur jetzt sofort und direkt das absolute Megasupersonderangebot erhalten kann.

Vor lauter Warnungen, freundlichen Hinweisen und brüllenden Pop-Ups wäre ich nicht mehr überrascht gewesen, im nächsten Moment Folgendes zu lesen:

„Buchen Sie schnell, bevor Sie sterben!“

Aber das ginge dann vielleicht doch noch einen klitzekleinen Schritt zu weit. Bereits 2015 erwähnte ich in einem Blogartikel einen spannenden Satz, der auf der dmexco, der führenden deutschen Messe für die digitale Vermarktung, gefordert worden war:

„Be elegant, not arrogant“

Von Eleganz ist auf den einschlägigen Reiseportalen nicht viel zu spüren. Hier soll der Verbraucher unter Druck gesetzt werden, um auf jeden Fall den Kaufprozess erfolgreich abzuschließen und die so genannte Absprungrate, also die Anzahl der Leute, die ohne tatsächliche Buchung die Website wieder verlassen haben, gering zu halten. Eine niedrige Absprungrate ist ein wichtiger KPI, ein wichtiges Bewertungskriterium für eine Website.

Eine niedrige Absprungrate alleine ist kein aussagekräftiger KPI

Bei Buchungsportalen, bei denen Reservierungen üblicherweise bis kurz vor dem Reisedatum kostenlos storniert werden können, führt der künstlich erzeugte Buchungsdruck jedoch dazu, vorschnell Buchungen zu tätigen, die nach kurzer Zeit wieder storniert werden.

Wer sich hektisch eine Unterkunft vor der angeblichen Übermacht an Konkurrenzreisenden gesichert hat, schaut sich anschließend mit deutlich mehr Ruhe weitere Optionen an. Oftmals wird dann klar, dass das erste Schnäppchen doch kein so überragend günstiges Angebot war, wie auf den ersten Blick geglaubt. Dann wird die eigene Buchung gerne noch ein- oder zweimal korrigiert.

Wer daher Statistiken von Reiseportalen gezeigt bekommt, die besonders geringe Absprungraten und eine sehr hohe Anzahl von Buchungen im Jahr auflisten, sollte sich auch die Zahlen über die zahlreichen stornierten Reservierungen zeigen lassen, um ein realistisches Bild über den Erfolg des Portals zu erhalten.

Wer Gold sucht, muss tiefer graben

Besonders spannend wird der Besuch solcher Portale, wenn man speziell nach Hotels sucht, die man zuvor über Google Maps ausfindig gemacht hat. Mit dieser Methode erhält man plötzlich Zimmer und Preise, die zuvor gar nicht aufgelistet waren. Diese Hotels haben offensichtlich keine Sondergebühr bezahlt, um unter den ersten Suchergebnissen zu landen.

Meine Buchung hat eine ganze Weile gedauert. Ich suchte auf mehreren Wegen Hotels und Ferienwohnungen, verglich Preise zwischen Hotelwebseiten und verschiedenen Portalen, prüfte mit Google Street View die Umgebung der vorgeschlagenen Unterkünfte und las mir unzählige Hotelbewertungen durch.

Am Ende hab ich eine hübsche Ferienwohnung gebucht, glaube ich. Genau werden wir das erst in den Sommerferien wissen. Wenn wir vor Ort überprüfen, ob die Realität der internetoptimierten Werbeschau standhalten kann. Ich werde berichten.

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