Ir(r)land. Wie vorhersehbar werden wir sein?

IBM will hellsehenDaten. Es sind die Daten, um die es geht. Ob bei einem militärischen Rüstungsprojekt wie Tandem-X, den erneuten Verhandlungen zur Vorratsdatenspeicherung oder einer Messe wie der Dmexco in Köln. Satellitenfotos, die Bürger in Nahaufnahme zeigen, Datenspeicherungen, die sämtliche Bürger unter Generalverdacht stellen oder bunte Marketinginitiativen, die unsere Wünsche herausfinden sollen, bevor wir sie selbst kennen. Ohne Daten und somit ein individuelles Wissen über einzelne Menschen geht heute nichts mehr. Wer geht wann wo hin, spricht wann mit wem und will wann was haben – Regierung, Parteien, Gerichte, Versicherungen, Spielzeug- oder Autohersteller oder anders gesagt Exekutive, Legislative, Judikative oder Wirtschaft – jeder glaubt vom Datenfluss der Menschheit profitieren zu können oder an Einfluss zu verlieren, wenn er das Datenspiel nicht mitspielt.

Auf der Dmexco, Europas größter Messe für digitales Marketing und Werbung, im September in Köln wurde das Spiel besonders deutlich. Auf fast jedem der rund 900 Stände in vier Messehallen prangte das Wort DATEN von den Standwänden. An anderen Ständen wurde das Datensuch(t)spiel umschrieben. Mit wohlklingenden Marketingbegriffen wie „Vollkontakt Kunde“, „Conversion-Optimierung“, „User Tracking“, „User Centered Performance Marketing“, „Client Focussed Digital Full Service“ oder „Customer-Driven e-Commerce“.

Diese „Leadgenerierung“ ist dabei nicht neu. Auch in alten Direktmarketing-Zeiten sollten mithilfe von Telefonanrufen oder Preisausschreiben Menschen zu Kunden werden. Während man damals jedoch höchstens Adresse oder Telefonnummer der potenziellen Interessenten kannte, sind unter heutigen „Leads“ umfangreiche Datensätze zu verstehen, die möglichst das ganze Leben und somit vorhersehbares Kundenverhalten preisgeben. Dazu werden alle „Touch Points“ genutzt, bei denen ein Unternehmen mit einem Menschen in Kontakt kommen kann. Das kann die Marketingabteilung sein, die anhand von Payback-Karten nachvollziehen kann, was wann gekauft wurde. Das kann die Vertriebsabteilung sein, die Erfahrungen im Direktkontakt hat („nerviger Kunde, der sich immer über alles beschwert“). Das können aber auch öffentliche Internetquellen wie Social Media, Ebay oder Diskussionsforen sein.

Wie nie zuvor werden wir künftig als Individuum umgarnt. Das kann uns Vorteile bringen. Wenn wir z. B. künftig eine Reklamation haben und das iPad dem Verkäufer verrät, dass wir ein langjähriger Kunde mit hohen Umsätzen sind, wird die Bereitschaft zu einem kulanten Umgang mit unserem Anliegen ohne Frage steigen.

Dennoch stellt sich die Frage nach den Grenzen der Vorhersehbarkeit menschlichen Verhaltens und der Bereitschaft zu immer größerer Transparenz. Wie reagieren wir, wenn wir beim Surfen auf einmal Urlaubswerbung zu den schönsten Golfplätzen Irlands angezeigt bekommen, nur weil wir auf Ebay einen Golfschläger gekauft und bei Facebook Fotos im Irish Pub hochgeladen haben? Werden wir uns ertappt, verfolgt oder einfach nur positiv inspiriert fühlen, wenn wir uns an die Möglichkeiten der neuen Technologien gewöhnt haben? „Be elegant, not arrogant“ war dann auch einer der besten Sätze, die in einer der Podiumsdiskussionen auf der Dmexco 2015 im Zusammenhang mit digitalem Marketing gefallen sind. Der Kunde soll sich nicht erschrecken, sondern als Individuum wahrgenommen und verstanden werden.

Ob die zunehmende Auswertung von Daten künftig jedoch wirklich die Vorhersage unserer Wünsche und Pläne ermöglichen kann, darf bezweifelt werden. Algorithmen und mathematische Prozesse sind letztlich immer auf der Suche nach Mustern und Ähnlichkeiten, um Ergebnisse produzieren zu können. Das Leben lässt sich allerdings in kein Muster pressen. Und nur weil jemand irisches Bier mag, heißt das noch lange nicht, dass er seinen begrenzten Urlaub auf einer regnerischen Insel verbringen will.

2 Trackbacks / Pingbacks

  1. dmexco 2016 – Wie eine Digitalmesse einen falschen Hype anfeuert – Media News for Parents
  2. Wer online Reisen bucht, braucht neben Medienkompetenz vor allem Beruhigungsmittel – Media News for Parents

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