Digitale Liebe unterm Weihnachtsbaum

Unsere Tochter bekam dieses Jahr keinen Adventskalender mit Süßigkeiten. 24 Türchen muss sie trotzdem öffnen.  Dahinter befinden sich diesmal Wörter. Diese geben Hinweise auf das Geschenk, das sie am Heiligen Abend unter dem Weihnachtsbaum finden wird. Nach 24 Wörtern sollte sie eine gute Ahnung davon haben, was sie bekommt. Soweit meine Idee, um den Adventskalender dieses Jahr einmal anders zu denken. Genau das sollten wir dieses Jahr auch tun, wenn es um digitale Medien zu Weihnachten geht. Mal anders denken. 

Digitalisierung boomt kreuz und quer

Rechtzeitig zu den Festtagen haben Microsoft und Sony ihre neuen Spielekonsolen in den Handel gebracht, Apple die neuste iPhone-Generation und sicher wird bei nicht wenigen Fünftklässlern dieses Jahr ihr erstes Smartphone unter der glitzernd geschmückten Tanne liegen. Während digitale Medien in diversen Spielarten ihren Erfolgszug in die Kinderzimmer der Welt fortsetzen, stellt sich die Frage, ob das Thema Medienkompetenzbildung in vergleichbarem Maße vorankommt. Dafür besteht durchaus Hoffnung.

Wenn Jan Böhmermann, der größte Digitallehrer seiner Generation, ein Buch herausbringt, in dem er eine Auswahl seiner bisherigen 26.000 Twitter-Tweets veröffentlicht, wenn in Firmen Hybridmeetings stattfinden, bei denen die im Konferenzraum auf Abstand sitzenden Teilnehmer über große Screens mit Kolleg*innen im Homeoffice konferieren und wenn Jugendliche das heimische Wohnzimmer blockieren, um auf dem Fernseher Youtube zu schauen, scheint die Cross-Medialität auf ihrem Höhepunkt angekommen zu sein.   

Wenn dank Corona auf einmal Manager*innen Social Media für die Kommunikation mit ihren Azubis nutzen, wenn Omas darüber twittern, dass Influencer auf Instagram Jugendliche zu einem verwerflich übertriebenen Kosmetikkonsum animieren und wenn Teenager ihren Lehrer*innen dabei helfen, den digitalen Distanzunterricht auf die Beine zu stellen, erleben wir zusätzlich eine spannende Cross-Generationalität.

Vier Phasen der Internetnutzung seit 2010

Die Über-40-Jährigen, die in den 2010er Jahren begonnen haben, Internet und Social Media für sich zu erobern, kennen verschiedene Phasen dieser langjährigen Medien-Nutzung.

Phase 1: Alles war spielerisch. Facebook 2010? Ein Riesenspaß um mit Freunden Urlaubs- und vor allem Katzenbilder auszutauschen.

Sorry, das musste jetzt sein…

Phase 2: Es wurde klar, was es heißt, als Privatperson in die gesamte Welt hinaus kommunizieren zu können. Wie die Macher im Silicon Valley träumte man von direkter Demokratie und davon, alle anderen von der eigenen Meinung überzeugen zu können, diskutierte oft nächtelang über die Vertretbarkeit olympischer Winterspiele in Russland, Finanzhilfen für Griechenland oder die Enthüllungen von Edward Snowdon.

Phase 3: Nach und nach zeigte sich, dass ein völlig unkontrolliertes Internet auch von finsteren Mächten genutzt werden kann. Je mehr Bots und Lügen- und bezahlte Werbeposts unterwegs waren, desto weniger wollte der Durchschnittsbürger in den sozialen Medien kommentieren. Ernüchterung machte sich breit.

Phase 4 ist heute aufgeteilt in zwei Gruppen. Manche haben sich abgewandt. Sie versuchen nicht mehr den Lügen und dem Hass Einhalt zu gebieten, weil er zu überwältigend und frustrierend erscheint.

Andere sind zu einer distanzierteren Internetnutzung übergegangen. Wie im früheren medialen Leben verlässt man sich auf die Quellen im Netz, denen man vertraut, steuert bei wichtigen Themen sachliche Argumente bei und ignoriert ansonsten Trolle und jede Form von Aggression.

Oder – wie Michael Seemann es hier so schön formuliert – man sortiert die Trottel aus.

Medienkompetenz braucht jahrelange Übung

Als Informations- und Netzwerkplattformen sind die sozialen Medien nach wie vor unersetzlich. Aber:

„Twitter ist nicht das Medium, in dem du mit diplomatischem Bemühen Konsens findest. … Prinzipiell geht es dort um den Austausch von Positionen, nicht um das Finden einer gemeinsamen Position“

Jan Böhmermann
SZ 5./6. September 2020

Soll heißen, wer ein Medium lange genug benutzt, versteht es auf Dauer immer besser und findet die für sich persönlich beste Nutzung heraus. Genauso wie Werbespots im Privatfernsehen entweder eine lustige Abwechslung oder eine Gelegenheit sind, den Getränkevorrat wieder aufzufüllen.

Boomer trifft auf Generation Z

Meine 74-jährige Mutter ist seit ein paar Wochen auf Twitter aktiv. Wenn sie darüber auf Youtube-Videos von Verschwörungstheoretikern stößt, ist sie sehr erschrocken, dass unter den Videos so viele zustimmende und brutale Kommentare stehen. Sie findet es verstörend, dass es scheinbar so viele Menschen gibt, die den offensichtlich kruden Thesen des Videos Glauben schenken.

Damit tappt sie mitten hinein, in die Medienkompetenzfalle. Meine Tochter, 16 Jahre alt und seit fünf Jahren mit Smartphone, Spielekonsole und PC intensiv im Internet unterwegs, zeigt ihr dann, wie man Bots erkennt bzw. schließen kann, dass es sich wahrscheinlich um Bots oder Fake-Accounts handelt, die unter dem Video positive Kommentare hinterlassen haben.

Die künstliche Wut der RoBOTer

Der Teenager erklärt dann auch, dass solche Bots genau den Eindruck erwecken sollen, dass niemandem mehr zu trauen ist. Wer den eigenen Leuten und Institutionen (seien es Nachbarn, Politikern, Gerichten, Ministerien, Wahlsystemen etc.) nicht mehr traut, wird sich nicht mehr in der eigenen Gesellschaft für Verbesserungen engagieren. Fehlendes Engagement und fehlender Glaube an die eigene Stärke schwächen jedes Gemeinwesen.

Millionen von Hass-Bots werden programmiert, um eine Verrohung des Diskurses zu bewirken, Online-Diskussionen zu manipulieren und so Demokratien von innen heraus zu schwächen. Diese Strategie zur absichtlichen Förderung von Misstrauen und Differenzen sowie dem Anheizen von Konflikten nennt sich Zersetzung und wurde u. a. in der DDR angewandt (siehe „Was war die Stasi“ ab Seite 27ff).

Das Internet gehört den Menschen und nicht den Trollen und Bots

Insofern bin ich froh, dass wir in einer Zeit angekommen sind, wo alle Medien unterm Weihnachtsbaum die gleiche Bedeutung haben. Den Kulturkampf Buch gegen Computerspiel haben wir größtenteils überwunden. Alle Medien haben ihre Vor- und ihre Nachteile, alle Medien können einen wichtigen Beitrag zur Medienkompetenz leisten und nur digitale Medien können dem User die Erfahrungswerte schenken, die er braucht, um die persönliche Digitalkompetenz weiterzuentwickeln und die eigene Mediennutzung stetig zu optimieren.

Weihnachten ist das Fest der Liebe und der Hoffnung. Deshalb kann man sich auch darüber freuen, dass mehrere Generationen durch die digitalen Medien, die unter den vielen Weihnachtsbäumen liegen werden, wieder einen riesigen Sprung nach vorne machen werden in Sachen Medien- und Digitalkompetenz. Denn genauso wie Adventskalender schokoladefrei sein können, können digitale Medien bei richtiger Anwendung risiko- und trollfrei sein und Menschen verbinden anstatt sie zu spalten.

In diesem Sinne wünsche ich trotz aller Corona-bedingter Distanz eine friedliche Adventszeit mit viel Gemeinschaft – und sei sie auch nur digital. 

Dieser Beitrag ist Teil der Adventsparade von „Schau hin! Was dein Kind mit Medien macht“. Jeden Tag findest du hinter den Adventstürchen verschiedene Blog-Beiträge sowie weihnachtliche Medientipps in unterschiedlichen Formaten. Hier geht´s zur „SCHAU HIN!“ Webseite oder zum „SCHAU HIN!“ Instagram Kanal.

Tipp fürs Weiterlesen: Gute Schulungsunterlagen zum Umgang mit Hasskommentaren im Netz der Landesanstalt für Medien NRW.

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