Gamescom – da wird jemand erwachsen

Seit 10 Jahren habe ich beruflich mit PC-Spielen und der Gamescom zu tun. Solange gibt es diese weltgrößte Messe für ineraktive Unterhaltungselektronik doch noch gar nicht, könnten Sie sagen. Für mich schon. Im Jahr 2007 ließen wir im Rahmen der Kulturhauptstadt Essen für das Ruhrgebiet 2010 prüfen, ob es wohl möglich wäre, die games convention, der Abwanderungsgelüste weg aus Leipzig nachgesagt wurden, in die Metropole Ruhr auf das Essener Messegelände zu holen. Schnell wurde uns signalisiert: keine Chance, die Branche will diesen Event nach Köln bringen.

2009 war es soweit, die Messe fand zum ersten Mal in Köln statt. 2014 war ich dann zum ersten Mal dort. Ich war sprachlos, begeistert, überwältigt. Kinopremieren kannte ich, Backstagebereiche und VIP-Events, aber die Gamescom übertraf alles. Hier fanden gefühlt tausend Premieren gleichzeitig statt, eine Bühne größer und bunter als die andere, ein fantastisch kostümiertes Wesen schöner oder auch schaurig-schöner als das andere. Meine Gefühle und Gedanken dieses ersten Besuchs flossen in meinen Blogartikel zur Gamescom 2015 ein. Meine Tochter war beim ersten Besuch zehn Jahre alt und spielte bis dahin nur für Kinder geeignete Handyspiele. Sie hat sich damals noch nicht selbst für diese riesige Spielemesse interessiert.

Eine Branche – viele politische Fragen

In diesem Jahr war ich wieder auf der Gamescom. Einmal beruflich und dann noch einmal privat mit meiner inzwischen dreizehnjährigen Tochter. Und es hat wieder großen Spaß gemacht, die auf den ersten Blick unübersichtlichen Messehallen zu erobern und die fortschreitende Entwicklung der Gamesbranche mitzuerleben.

Am eindrucksvollsten war die Halle 7, die komplett von Blizzard (u. a. „World of Warcraft“) und Sony („Playstation“) bespielt wurde. Gerade diese beiden Firmen boten überwältigende Messestände, in denen die Spielewelten mit perfekter Dekoration und Illusion zum Leben erweckt wurden. Auffällig war die Leichtigkeit, mit der politische Fragestellungen in die Präsentationen eingewoben und zum Teil beantwortet wurden.

Kultur, Hochleistungssport und Vielfalt

Das von Russell Brower dirigierte Medley aus bekannten Blizzard-Spieletiteln des City Of Prague Philharmonic Orchestra unterstrich den kulturellen Anspruch von Computerspielen.

Sony legte mit 4200 m² und 406 Spielestationen seinen bisher größten Gamescom-Auftritt hin und zeigte eindrucksvoll wie spannend live kommentierter eSport sein kann, der in Deutschland noch auf seinen Durchbruch wartet. Die große Sony-Tribüne war ebenso permanent bis auf den letzten Platz gefüllt wie die Tribüne der ESL (European Sports League), von der man an allen Tagen Hochleistungsspielen sehen konnte mit internationalen Top-Teams und Preisgeldern im fünfstelligen Bereich.

Um die neuen Playlink-Spiele für die Playstation zu promoten, die mit dem Handy als Controller gespielt werden, entwarf Sony einen raffinierten Kombistand, bei dem man gleich durch vier völlig unterschiedliche Spieleszenarien hindurchgehen und die jeweiligen Spiele vom lustigen Partyspiel bis zum schaurigen Mystery-Titel ausprobieren konnte. Geschickter kann man kaum darauf hinweisen, wie vielfältig Spielewelten und wie breitgefächert Spieler-Interessen heute sein können. Den typischen Genrespieler gibt es immer weniger.

Statt Spielplatz wirtschaftlicher Umschlagplatz

Doch trotz all der bunten, großen und lauten Spielewelten war mein Eindruck im Vergleich zu 2014 ein anderer. Alles schien unaufgeregter, gut organisiert, fast schon sortiert.

Es gab einige Spielstationen, die eher wie normale Messestände aufgebaut waren. Von außen ein eher unspektakulärer Kubus, die faszinierende Spielewelt offenbarte sich erst innerhalb des geschlossenden Quaders. Solche Stände muss man als Besucher bewusst ansteuern. Sie locken einen nicht automatisch an mit flimmernden Bildschirmen oder überdimensionierten Spielfiguren.

Die fortschreitende Erweiterung der Messe durch Satellitenveranstaltungen wie die erfolgreiche Premiere der devcom, die als Entwicklerkonferenz die eingestellte Game Developers Conference Europe ersetzte, und den ersten „Spobis gaming & media 2017“-Kongress für digitale Sportvermarktung unterstrich das Potenzial der Branche.

Spätestens ein Besuch oder ein Termin in der Business Area machte einem klar, dass es bei der aktuellen Veranstaltung um viel mehr geht als ums Daddeln. Hier werden in klassischen Messeständen Geschäfte gemacht, Kooperationen gesucht, Finanzierungen diskutiert und der Grundstein für die nächsten Innovationen gelegt. Hier war weniger Lärm und kein buntes Dauerblinken durchzuckte die Räume.

Nach all den Jahren tut sich die Politik immer noch schwer

Nicht zuletzt die Eröffnung der Messe durch die Bundeskanzlerin erteilte der weltgrößten Messe für digitale Spiele den Ritterschlag. Auch wenn man sich gewünscht hätte, dass sie nicht nur verspricht, nach der Bundestagswahl die von der Gamesindustrie geforderte strukturelle Branchenförderung anderer Länder wie Kanada, Frankreich oder Polen zu prüfen und einen runden Tisch der Branchenvertreter einzuberufen. Denn all dies hätte in den letzten 12 Jahren ihrer Kanzlerschaft schon längst passieren können.

Verspielt oder traumatisierend?

Das Motto der Gamescom-Party, die traditionell am zweiten Messetag stattfindet, gefiel nicht jedem. Während sich die Branche von der Killerspieldebatte emanzipiert und als Wirtschaftsbranche ernstgenommen werden will, waren manche von der im düsteren Steampunk-Look dekorierten „Apocalypse-Party“ irritiert.

Andere lobten das Aufgreifen der Steampunk-Bewegung als Zeichen für die Trendsicherheit der Branche und als passende Dekoration für einen Event, der eng mit Spielen wie World of Warcraft oder Fallout verknüpft ist. Beides sind Spiele, die Elemente des Steam- bzw. Atompunk enthalten.

„Die Quelle alles Guten liegt im Spiel“,  sagt Fröbel laut Angela Merkel

Meine Tochter bekam von all diesen Dingen und Fragestellungen natürlich nichts mit. Sie zog mich zu den Ständen und Spielen, die sie interessierten, erklärte mir ohne Unterlass die verschiedenen Cosplayer und richtete ihr Zimmer mit Spielfiguren fürs Regal und Poster für die Wände neu ein.

In der Manga-Ecke wollte sie eine Postkarte mit einem Killerwesen aus einem ihrer Lieblingsspiele kaufen. Folgender Wortwechsel zeigt am besten, wie sich die Sichtweise von Erwachsenen und Jugendlichen bei der Nutzung von Spielen unterscheiden können.

Mama: „Ist das nicht ein bisschen gruselig?“
Tochter: „Nur für denjenigen, der sich nicht auskennt.“

Und schon sind Altersgrenzen, Gewaltdiskussionen und andere Berührungsängste vom Tisch gewischt.

Die Spielebranche wird langsam erwachsen. Die Politik nimmt die Branche stärker wahr, die Branche tritt professionell und selbstbewusst auf, immer mehr Menschen spielen und die Grenzen zwischen spielerischen und industriellen Anwendungen verschwimmen.

Und auch meine Tochter ist kein Kind mehr. Ich bin jetzt schon gespannt, welche Spiele sie im nächsten Jahr ausprobieren und an welchen Schlangen sie sich anstellen will.

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