Die Videodays sind nicht die Gamescom!

Autogrammstunde am Community Day

Autogrammstunde am Community Day

Um Missverständnisse aufzuklären kletterte eine Mitarbeiterin am Eingang auf ein Absperrgitter und verkündete lautstark: „Wir sind die Videodays. Wenn bei euch Gamescom auf dem Ticket steht, seid ihr hier falsch!“. Gelächter unter den Anwesenden, die in der Schlange vor dem Eingang Nord nahe genug standen, um die Ansage mitzubekommen. Eine Schlange von tausenden von Menschen, die sich um die halbe Lanxess-Arena gebildet hatte. Bei glühender Hitze hatten sich rund 15.000 Jugendliche und Eltern auf den Weg zum weltweit größten Youtuber-Treffen der Welt gemacht, das am 7. und 8. August nun bereits im fünften Jahr und zum zweiten Mal neben Berlin auch in Köln stattfinden sollte.

Da zeitgleich in zwei Kilometer Entfernung in den Messehallen der Stadt Köln die weltweit größte Videospielmesse Gamescom stattfand, deren Gäste sich auf dem Bahnhof Köln-Deutz kreuzten, war die Ansage der Einlass-Mitarbeiterin gar nicht so abwegig. Wäre man ohne Ortskenntnis einfach den jungen Leuten mit den bunten Haaren nachgegangen, hätte man leicht bei der falschen Location landen können.

Happy Kids

Happy Kids

Die Videodays sind in zwei Tage unterteilt. Der Community Day am Freitag dient dazu, dass sich die Youtuber und deren Abonnenten einmal ohne digitale Techniktrennung persönlich treffen können. Bei der Masse der Interessenten und dem Star-Faktor, den die berühmten Kurzfilmeproduzenten inzwischen haben, kann von einem gemütlichen Meet & Greet, das es zu Beginn einmal war, heute keine Rede mehr sein. Mehr als eine schnell beschriebene Autogrammkarte, ein Selfie und ein kurzes Lächeln kann man nicht mehr ergattern, bevor der Nachstehende in der Warteschlange schon sein Recht auf die Aufmerksamkeit seines Idols einfordert.

Insofern besteht der Community Day hauptsächlich aus Warten in gefühlt unendlichen Warteschlagen.

Die Schlange nahm kein Ende

Die Schlange nahm kein Ende

Vor allem Eltern, deren Herz meist nicht ganz so erfüllt ist von der glühenden Vorfreude auf das Erhaschen eines Real-Life-Blicks auf den geliebten Videospieler oder Online-Comedian, sollten die orthopädischen Schuheinlagen nicht vergessen, um die unvermeidlichen Rückenschmerzen einigermaßen im Zaum zu halten.

Am zweiten Tag kann die ganze Familie den Körper dann wieder entspannen während der gut fünfstündigen Show, die in der Halle auf der Bühne stattfindet. Das Programm bestand 2015 allerdings im Gegensatz zur Vielfalt der Youtube-Welt eher einseitig aus Musikauftritten, die um diverse Preisverleihungen und Hinweise auf vergangene oder künftige Youtube-Aktionen ergänzt wurden. Als Elternteil fühlt man sich bei einem Großteil der Musik-Gigs an die eigene Jugend erinnert, in der man die Wochenenden in kleinen Clubs mit eher unbekannten Bands verbrachte, bei denen man oft noch nicht einschätzen konnte, ob sie das Potenzial für die große Karriere haben würden.

Michael Schulte on stage

Michael Schulte on stage

Für Eltern war der Auftritt von Michael Schulte, der vielen als Drittplatzierter der ersten „The Voice of Germany“-Staffel bekannt ist, das Highlight des Nachmittags. Mit eigener Band und Equipment erreichte der Auftritt eine musikalische Qualität, die aus der Masse der Youtubemusiker herausstach. Nachdem Moderator Dominik Porschen die Eltern aufforderte mal „Lärm zu machen“ wurde auch klar, dass mindestens die Hälfte der jungen Besucher mit elterlicher Unterstützung zur Veranstaltung gekommen war. Wenn wir was können, dann ist es Lärm machen, schließlich sind wir mit Scooter und Dr. Motte groß geworden. Allerdings durfte ich selbst während der Musikacts auf meinem Sitzplatz nicht allzu sehr mit dem Beat mitgehen. Wenn das Gezappel neben ihr zu stark wurde, signalisierte mir meine Tochter mit unauffälligen Armberührungen, dass ich mich doch bitte nicht ganz so peinlich benehmen solle.

Für eine Überraschung sorgten die Gewinner des Youtube PlayAwards in der Kategorie Science. Nachdem sie den dreieckigen Preis (der mich persönlich immer an den früheren Comet-Award von VIVA erinnert) in Empfang genommen hatten, fragte Alexander Giesecke vom Kategorie-Gewinner The Simple Club das Publikum, wer denn ihren Youtube-Auftritt kenne. Daraufhin gingen im Innenraum fast alle Hände in die Höhe. Dabei handelt es sich bei The Simple Club um mehrere Youtube-Kanäle, bei denen man per Videos Nachhilfe in Mathe, Bio, Chemie und Physik erhält. Lehrer sollten das Phänomen daher im Auge behalten.

IMG_3302Insgesamt bekommt man für den Eintrittspreis von 35 Euro pro Karte zwei schöne Tage geboten, an denen Jugendliche ihre Internethelden live erleben und Eltern auch einmal live einen Eindruck davon bekommen können, was die Herzen ihrer Kinder heutzutage höher schlagen lässt. Die familieninternen Gespräche über Let’s Player, persönliche Videospielerfolge oder moderne Lifestyle-Idole werden so um einen Ausflugsevent ergänzt, an den man sich gemeinsam zurückerinnern kann. Wir hatten den Papa allerdings vorsorglich zu Hause gelassen, weil es vorher schon hieß, es könne „sehr laut“ werden. In der Tat mussten wir uns das ein oder andere Mal die Ohren zuhalten, wenn  Youtuber-Namen wie Dner oder Julien Bam erwähnt wurden. So muss es damals wohl auch bei den Beatles gewesen sein…

Insofern gilt Christoph Krachten als Erfinder und Macher hinter den Videodays ein Dank für einen schönen Event und eine gute Organisation. Um die Vielfalt der Youtube-Welt mehr abzubilden, ist aber noch Luft nach oben. Ausschnitte aus den Youtubefilmen der Auftretenden, Hintergrundinfos über den Alltag der Youtuber und weitere kreative Inhalte der Plattform wie die Soundexperimente von Stard Ova, der für die Videodays Alltagsgeräusche in einen genialen Dance-Hit remixte, würden die noch etwas brav daher kommende Veranstaltung ohne Frage bereichern.

Ein Kommentar zu Die Videodays sind nicht die Gamescom!

  1. Ein sehr schöner Beitrag! Tatsächlich finden heutzutage viele Eltern die Interessen ihrer Kids sehr viel spannender, als das vor 40 Jahren der Fall war – und das ist gut so. Ich persönlich setze mich auch lieber mit meinen Nichten und Neffen an einen Tisch und quatsche über Pokemon & Co., als mir die desillusionierten Themen der Erwachsenen anzuhören – zu denen ich ja zugegeben schon selbst gehöre … Auf der gamescom habe ich einen Herrn von der evangelischen Jugendarbeit getroffen, der – wenngleich etwas „älter „- doch ausgezeichnet informiert war über die Trends auf Youtube etc. Wir fanden es beide nicht gut, dass man in der Spielebranche mit 40+ schon alt sein soll. Was fürn Quatsch 😉

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